Ich schieb das letzte Stück Vollmilchschokolade in den Mund und schließe die Augen. Warte, bis weiche Kakaomasse meinen Mund füllt. Die Äquatorsonne steigt in meinem Bauch auf. Das Geräusch der Motoren wechselt in ein gleichmäßiges Brummen. Ping.

            „Wir heißen Sie herzlich willkommen auf dem Flug von Prag nach Köln-Bonn. Die Anschnallzeichen sind erloschen und die Toilettenräume dürfen nun aufgesucht werden. Trotzdem möchten wir Sie zu Ihrer eigenen Sicherheit darum bitten angeschnallt zu bleiben…“

            Ich ziehe den Gurt enger, schlucke und die Schokolade ist weg. Neben mir sitzt ein Surfertyp, gebräunte Haut, blonde Locken und iPod. So um die 23, würd ich sagen. Ich schau aus dem Fenster. So weit weg die Erde! Meine Hände sind feucht. Ich versuche sie unauffällig an meiner Jeans abzuwischen. 

            „Alles okay bei dir?“, fragt der Surferboy.

            „Ähm… Ja.“

            Das Flugzeug wackelt. Ich verkrampfe.

            „Fliegst wohl nicht so gerne?“

            Ich schüttle den Kopf.

            „Soll ich deine Hand halten?“

            Was hat der gesagt? Meine Hand halten?

            „Das hat meine Mutter früher immer gemacht, wenn ich nicht schlafen konnte. Mir hat es immer wahnsinnig gut geholfen. Gib mir deine Hand!“

            Meine Hand? Einem Typ, den ich gar nicht kenne? Einem Typ, der so verdammt gut aussieht? „Die sind aber schwitzig“, stammle ich.

            Er lächelt. „Passiert, wenn man Angst hat. Komm. Her damit!“ Er greift nach meiner Hand. Seine Haut ist kühl und weich. Auf dem Handrücken glitzern feine, blonde Härchen. Ich fühl mich komisch. Soll ich jetzt was sagen? 

            Er rutscht tiefer in seinen Sitz und schließt die Augen. Sein Kopf nickt zur Musik in seinem Ohr. Ich schaue auf die Sitztasche vor mir. Eine Werbezeitung der Fluggesellschaft, Sicherheitsanweisungen, Bordmenü. Mein Blick schweift zu seiner Sitztasche. Nackte Brüste starren mich von Hochglanzseiten an. Ich lasse seine Hand los. 

Er öffnet die Augen. „Geht’s dir besser?“

            Der kann doch nicht in aller Öffentlichkeit so was lesen. Ich nicke kurz.

            „Gut.“ Oh nein, er greift in seine Sitztasche. Nach dem Magazin! Das aufgeschlagene Mädchen kniet im Wald, streckt ihren Hintern der Kamera entgegen. Ein knackiger Hintern natürlich.

            „Hier, willst du mal lesen?“

            „Was? Nee!“

            „Guck mal.“ Er blättert durch das Magazin. „Die hier ist von mir.“ Er hält mir das Bild einer Pole Dancerin hin.

„Deine Freundin ist nackt in einem Magazin?“

Er lacht. „Nein, die Geschichte ist von mir.“

Das Wort Spitzenslip spring mir ins Auge. Ihr Spitzenslip verbirgt nichts, als sie sich nach vorne beugt. Meine Wangen glühen. „Nee. Wirklich nicht“, wehre ich ab. 

„Na ja, ich les das auch nur aus Forschungszwecken. Steckt ne Menge Geld drin. Da lassen sich schnell mal 100 Euro verdienen und so Geschichten sind schnell geschrieben. Nicht gerade anspruchsvoll.“ Er lacht.

Hoffentlich ist der Flug bald vorbei. 

„Hey, was hilft dir denn am besten, wenn du Angst hast?“

„Schokolade.“ Eigentlich will ich gar nicht mit dem reden.

„Na, das soll sich machen lassen.“ Er steckt sein Schmuddelmagazin weg und drückt den Rufknopf für die Flugbegleitung. Was hat der vor? Er beugt sich zu mir und flüstert. „Weißt du, ich hab nämlich auch ein bisschen Angst vorm Fliegen.“ 

Das glaub ich ihm nicht. 

„Weißt de was?“, fragt er, „Wir bestellen jetzt Schokolade für zwei und wenn wir die verdrückt haben, sind wir fast schon da.“

Ein gestriegelter Flugbegleiter hat unsere Sitzreihe erreicht. „Ja bitte?“

„Meine Freundin hier hat Diabetes und wir haben ihren Traubenzucker vergessen. Könnten Sie uns nicht ein paar Riegel Schokolade bringen?“

Was Diabetes? Freundin? Was erzählt der denn da?

„Der Getränkewagen wird gleich durch den Gang gehen“, versucht der Flugbegleiter unsere Anfrage abzuwimmeln.

„Ja, wissen Sie. Wir mussten uns so beeilen, um das Flugzeug zu kriegen. Und das Rennen war sehr anstrengend für meine Freundin. Ihr ist schon schwindelig und ich glaub sie wird gleich ohnmächtig.“

Jetzt sieht der Flugassistent besorgt aus. Oder ist er genervt? „Ich werde sehen, was ich tun kann.“

„Dankeschön.“ 

Der Flugbegleiter verschwindet Richtung Flugzeugende.

„Na, ist doch eins A gelaufen, oder? Wollʼn doch mal sehen, ob wir die Riegel auch für umsonst kriegen. Sag mal, wie heißt du eigentlich.“

„Kirstin.“

„Ich bin Christian.“ Er streckt mir die Hand entgegen. Meine ist immer noch schwitzig. 

„Sie hatten nach Schokolade gefragt?“ Ich zucke zusammen. Eine Flugbegleiterin mit roten Lippen und brünettem Pferdeschwanz steht im Gang. 

„Ja, danke“, sagt Christian, „für meine Freundin. Wissen Sie, sie hat Diabetes und ihr geht es nicht so gut.“

„Das tut mir leid. Wir haben Snickers, Mars und Rausch Schokoladenriegel, Vollmilch und Zartbitter.“

„Ja, Zartbitter, bitte. Oder magst du lieber Vollmilch?“

Ich bin erstarrt.

„Wir nehmen einfach beide.“

„Das macht dann vier Euro bitte.“

Christian drückt seinen Po aus dem Sitz hoch und wühlt in seiner Hosentasche. Er holt ein paar zerknüllte Kronen hervor und hält sie der Flugbegleiterin hin.

„Tut mir leid, wir nehmen nur Euro.“

„Ach so. Mhm. Ja. Mist, ich hab leider keine Euros.“ Er schaut zu mir. „Geht es noch, Schatz?“ Er fischt etwas aus der Sitztasche und drückt es mir in die Hand. „Hier, falls dir schlecht wird.“

Die Flugbegleiterin wechselt von einem Bein aufs andere. „Ist schon okay. Betrachten Sie es als Präsent unserer Fluggesellschaft.“

„Ach, danke, sind Sie sicher?“

„Gute Besserung an Ihre Freundin.“ Die Flugbegleiterin macht sich aus dem Staub.

Christian lacht. „Vollmilch oder Zartbitter? Na los. Sieh’s als Medizin. Gegen die Flugangst. Und Schokolade ist immer besser als irgendwelche Chemie-Beruhiger. Natürlicher.“ Er hält mir die blaue Vollmilchpackung hin. 

Ich nehme sie und sehe zu, wie er seine goldene Verpackung aufreißt und das erste Stück mit einem vollen Knack abbricht. Ich zögere. Na ja, es wäre ja auch unhöflich die jetzt nicht zu essen. Vorsichtig packe ich meine Schokolade aus und stecke das erste Stück in den Mund.

Draußen liegt jetzt eine Decke aus Wolken. Wie Donauwellen-Buttercreme. Da würd’s mir nichts ausmachen reinzufallen. Ich nehme noch ein Stück Schokolade. Neben mir reißt Papier. Christian trennt eine der Brüste der Pole Dancerin heraus. Jetzt ist da nur noch ein rundes Loch. Er knüllt den Fetzen zusammen, legt ihn auf seine Handfläche und flitscht ihn mit dem Zeigefinger über die Sitzreihen weg. Dann macht er sich an die zweite Brust. 

„Was machst du da?“

„Dich ablenken.“ Jetzt muss ihr Schritt dran glauben. „Außerdem versuche ich den Opi in der Reihe da vorne zu treffen. Aber ich war schon immer lausig im Zielen. Versuch du mal.“ Er reicht mir noch ein Stück Brust.

 „Das können wir doch nicht machen“, protestiere ich, „Was, wenn die Flugbegleitung uns erwischt?“

„Dann sagen die uns wir sollenʼs lassen. Was sollen die schon groß machen? Uns rauswerfen? Oder notlanden?“ Er zwinkert.

Ich lache. Eigentlich ist er ja ganz witzig. Und ich will kein feiges Huhn sein. Ich knüddle die Brust zusammen. Geschieht der ganz recht. Und ziele. Auf die Glatze sieben Reihen vor uns.

„Treffer!“ Christian stupst mich an und grinst. „Ups, jetzt hören wir aber besser mal auf. Da kommt der Getränkewagen.“ Er faltet sein Heft zuzammen und steckt es neben die Lehne.

„Was sagen denn deine Eltern dazu, dass du so Geschichten schreibst?“

„Nix. Ich schreib ja unter nem Pseudonym. Lasse Wanger. 

            Ich nicke und genehmige mir das letzte Stück Schokolade. Keine Ahnung, was ein Pseudodings ist. Ich glätte die Verpackungen. “Weißt du, ich könnte noch mehr davon vertragen.”

„Ich hol dir welche.“

Meine Wangen fangen an zu glühen. Reiß dich zusammen, Kirstin! 

Christian steht auf.

„Was hast du vor?“

Er dreht sich zu mir um. „Selbstbedienung. Geh zur Toilette und drück irgendeinen Rufknopf für das Flugpersonal auf dem Weg dahin!“

„Was?“

“Mach schon.” Er nickt und ich quetsche mich nach vorne. Einen Rufknopf drücken? Aber welchen? Ach, hier ist ja auch der Opi, dem ich die Brust an den Kopf geflitscht habe. Pass auf Opa, ich lande jetzt auf deinem Schoß, hoppla. Ich drücke den Knopf und ziehe mich wieder hoch. Opi schaut mich böse an. „Tschuldigung, mir ist schlecht“, versuch ich mich rauszureden und hetze weiter.

Zum Glück ist die Toilette frei. Ich lasse die Tür zufallen. Okay, was jetzt? Ich setze mich auf den Klodeckel. Hier drin ist es eigentlich viel besser als im Passagierraum. Wenn dieses Flugzeug nur nicht so wackeln würde. Ob Christian schon Erfolg hatte?

Es klopft. 

„Alles okay bei Ihnen?“, fragt eine weibliche Stimme. Ich trau mich nicht zu antworten. Es klopft noch einmal.

„Ja. Alles okay.“

„Der Mann in Reihe sieben hat gesagt, Ihnen wäre übel. Brauchen Sie einen Arzt?“

„Ich? Nee.“ Wieso denkt die, dass ich einen Arzt brauche? Ach ja, Christians Diabetes-Ausrede. Die hatte ich schon vergessen. „Nee, musste nur Insulin spritzen. Jetzt ist alles okay.“ Schnell öffne ich die Tür und schiebe mich an der Flugbegleiterin vorbei zurück zu meinem Platz. Ich hoffe, Christian hat die Schokolade. Ja, er winkt mir aus meinem Sitz zu. 

„Dritte Schublade von oben.“ Er gibt mir einen Riegel. Den anderen behält er für sich. 

Ich setzte mich auf den Mittelsitz und reiße die Verpackung auf, breche die Stücke auseinander, stecke drei auf einmal in den Mund und kaue. 

Die Flugbegleiter drehen inzwischen ihre Müllrunde. „Meine Damen und Herren, in Kürze erreichen wir den Flughafen Köln-Bonn. Wir möchten Sie bitten, Ihre Sitzplätze wieder einzunehmen…“

            Mein Herz beschließt im Hals weiterzupochen.

            Christian nimmt wieder meine Hand. „Komm, das schaffst du schon.“

            Plötzlich kippt das Flugzeug zur Seite. Unter uns windet sich der Rhein durch die Stadt. Schwimmen Flugzeuge eigentlich?

Wir sinken und meine Trommelfelle stülpen sich nach außen. Mein Kopf wird schwer. Die Motoren brüllen. Die erste Träne rollt über meine Wange. Ich hasse es!

„Hey.“ Ein Arm legt sich um meine Schultern. „Wir sind gleich da. Und wenn du magst, kauf ich dir am Flughafen einen superleckeren heißen Kakao.“

Ich vergrab mein Gesicht in seinem Pulli. 

Wir werden tiefer in den Sitz gedrückt. Die Landeklappen fahren aus. Der Druck in meinem Kopf steigt. Ich schlucke, aber das bringt nichts. Das Flugzeug bebt. Hoffentlich brechen die Flügel jetzt nicht ab! Wir setzen auf. Die Motoren kreischen. Gleich gehen wir in Flammen auf. Das Kreischen ebbt zu einem leichten Surren ab. Wir rollen. 

„Sehr geehrte Fluggäste. Herzlich willkommen in Köln-Bonn. Aus Sicherheitsgründen möchten wir Sie bitten angeschnallt zu bleiben, bis wir unsere endgültige Parkposition erreicht haben.“

 „Geschafft.“ Christian lächelt. „Magst du noch meinen Rest Schokolade?“

Scheiße, auf Christians Pulli glänzt meine Rotzspur zartbitterbraun. Jetzt bloß nichts anmerken lassen. „Hast du denn noch welche?“

Er beugt sich vor und dann ist sein Mund auf meinem und ein halb geschmolzenes Stück Schokolade schlüpft an meinen Lippen vorbei, gefolgt von seiner Zunge, warm wie Strandsonne. Das Flugzeug hält und das Anschnallzeichen erlischt. Alle stehen auf.

„Na, wie sieht’s jetzt aus mit dem Kakao?“

Ich schau von seinem Lächeln auf die Rotzspur und weiß nicht wohin mit der Süße in meinem Mund. 


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